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Rotz und Wasser: Der Raiselweiher von Oberankenreute
Text: Dr. Lutz Dietrich Herbst, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart, Esslingen/Neckar 2021
Zwischen Unter- und Oberankenreute gehört südlich der Wolfegger Straße ein kleiner Weiher zur früheren Weiherlandschaft des Klosteramts Schlier. Im Gegensatz zum Rößlerweiher diente dieser jedoch nicht der Fischzucht oder dem Wassermanagement auf dem Weingartener Martinsberg.
Vielmehr hatten die Benediktiner vermutlich im 15. Jahrhundert im Unteren Esch ein Wasserbecken ausheben lassen, das in der Leinenweberei eine wichtige Funktion hatte. Um webbare Fasern aus Flachsstroh gewinnen zu können, musste dieses zunächst einer künstlichen Fäulnis unterzogen werden. Hierfür musste nach Entfernung der Leinsamen das Flachsstroh über mehrere Wochen in flachen Wassergruben eingeweicht werden. Während dieser Zeit lösten sich die langen Leinfasern von den harten Stängeln. Gleichzeitig entwickelte sich jedoch Schwefelwasserstoff, Butter- und Essigsäure sowie Ammonium und Phosphat. Dies führte zur Vergiftung des Wassers für Fische, gleichzeitig erkrankten Menschen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu diesen sogenannten Rotzgruben, Ratzengräben, Raisel- oder Rosenweihern lebten. Deshalb wurden sie wie auch hier schon früh ausschließlich an Siedlungsrändern gebaut und von fischereiwirtschaftlichen Gewässern abgesondert.
Nach Aufgabe der Landweberei sind viele dieser frühen biochemischen Anlagen verlandet oder wurden aufgrund ihres Gestanks verfüllt. Gemessen an ihrer früheren Häufigkeit sind Raiselweiher heute sehr selten geworden. Der von Oberankenreute ist daher ein wichtiges Kulturdenkmal der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Umweltpolitik des Benediktinerklosters Weingarten.
Über den Flachsanbau in der Region
Der Anbau von Flachs war lange Zeit prägend für die Region und tauchte ganze Felder in leuchtendes Blau.
Die Verarbeitung von Flachs, um daraus Garn für Leinwand zu gewinnen, war sehr aufwändig und bedurfte vieler Arbeitschritte. Nach Aussaat und Ernte folgte zunächst das „Riffeln“, wobei die Samen von der Planze getrennt wurden, um daraus Samen für das Folgejahr bzw. Öl zu gewinnen.
Danach folgte die „Röste“ oder „Rotte“, wie oben beschrieben, und im Anschluss die „Dörre“ – das feuchte Flachsstroh wurde im Dörrofen getrocknet. Hier warteten schon die „Flachsbrecher“, denn Dörren und Brechen musste Hand in Hand gehen.
Beim „Flachsschwingen“ wurden später restliche Hülsen vom getrockneten Flachs abgestreift. Danach folgte das „Hecheln“: Mit hölzernen Kleinrechen und später eisernen Bürsten wurden die Flachsfasern wieder und wieder gekämmt – je nach Leinwandsorte mit groben oder feinen Hecheln. Erst jetzt war der Flachs für das Spinnen bereit. Wenn mit viel Geschick die Spulen am Spinnrad gefüllt waren, musste der gesponnene Faden noch „abgehaspelt“ werden.
Als letzter Arbeitsschritt vor dem Weben wurde das Garn noch „gesotten“. In einem Kessel mit Holzasche und Wasser wurde das Garn gekocht, um letzte klebrige Bindemittel auszulösen. Diese Veredelung erfolgte meistens durch den Weber in der Weberei. Die gewebten, langen Leinwandbahnen waren zunächst silbrig-grau. Um strahlend weiße Leinwand zu erhalten, legte man die Bahnen zum Bleichen auf schattenlose Wiesen aus, besprengte diese immer wieder mit Wasser, bis die Sonne ihre Arbeit verrichtet hatte. Das war ebenso aufwändig wie langwierig: Es mussten die Bahnen an Sonnentagen jeden Morgen aus- und abends wieder eingeholt werden.