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Die Sage vom Schlangenhof in Schlier
Text: Transkript aus dem Schlierer Heimatbuch
„Auf diesem Hof saß einst ein Müller. Er war groß, breitschultrig, mit struppigem, schwarzem Haar und buschigen Augenbrauen. Er war verheiratet und hatte einen Sohn. Seine Arbeit bestand im Mahlen des Kornes für das Kloster aus dem Zehntstadel in Schlier. Der Amann, der dafür eingesetzt war, hatte allein den Schlüssel in Verwahrung. Er öffnete die schwere Eichentür nur, wenn von Weingarten die Weisung kam. Dann wurden die Säcke abgezählt und der Mahlertrag berechnet. Das aber passte dem Müller nicht. In einer dunklen Nacht nahm er Hacke und Schaufel und grub ein Loch in die Erde. In ein paar weiteren Nächten wurde aus dem Loch eine Grube und aus der Grube ein Gang, der im Inneren der Scheune endete. Es war damals gerade eine Notzeit. Der Hagel hatte die Ernte vernichtet. Der Preis des Getreides stieg. Das nützte der Müller aus. Bei Nacht schlich er sich in die Scheuer und verließ sie wieder schwer bepackt. Das heimlich erworbene Getreide verkaufte er in der Stadt teuer. Den Erlös gab er am Spieltisch aus. Da zog das Unheil herauf.
Auf dem Hof hatte man schon seit Menschengedenken sonderbare Gäste. Es waren keine Menschen. Es waren Tiere, die friedlich mit den Gänsen und Hühnern lebten. Es waren Ringelnattern. Sie lagen in der glühenden Sonne auf den heißen Steinen und verkrochen sich bei Regenwetter in die löchrigen Tuffsteine. Menschen und Tiere waren einander so sehr gewöhnt, dass die Schlangen mit den Kindern die Milch aus einer Schüssel schlürften. Seit der Müller seine nächtlichen Gänge unternahm, war mit den Schlangen eine doppelte Wandlung vor sich gegangen. Neben den ungiftigen Ringelnattern erschienen plötzlich giftige Kreuzottern. Beide Arten vermehrten sich ungeheuer schnell. Due Schlagen durchdrangen den Hof, ließen sich in Küche und Keller, Stall und Scheuer nieder. Sie lagen in den Betten und leerten die Milchschüsseln. Die Knechte, die auf dem Hof waren, verdingten sich eilig bei anderen Bauern. Die neuen Knechte, die dann kamen, blieben auch nicht lange in dem unglücklichen Haus. Aber dennoch änderte der Müller seinen Lebenswandel nicht.
Zuvor musste etwas Schreckliches geschehen. Der Sohn, der noch im Kindesalter war, ging in den nahen Wald, um der Mutter Brombeeren zu pflücken. Da sah er schöne, rote Beeren an einem Strauch hängen. Er wollte sie gleich versuchen wusste er ja nicht, dass sie seinen Tod bedeuteten. Als nun die Mittagszeit nahte, suchten die Mutter und die Knechte den Buben. Er konnte nur noch tot geborgen werden. Das erschütterte den Vater so sehr, dass er sofort daran ging, den verruchten Gang zuzuwerfen. Er hatte die Schlangenplage auf dem Hof wohl bemerkt und ahnte auch, dass sie mit seinem Lebenswandel und dem Auftauchen einer solchen Menge an Ringelnattern und Kreuzottern bestehen musste. Er versuchte sie mit Schwert und Feuer auszurotten, hatte aber keinen Erfolg. Der Müller fasste sich nun ein Herz und machte sich auf den Weg ins Kloster Weingarten. Er wollte dem Abt alles beichten und seine Schuld sühnen. Der Abt verzieh ihm und segnete den Hof und das Haus. Der reumütige Müller musste einen Sühnestein errichten. Dieser steht heute noch an der Straße gegenüber dem Schlangenhof (der Sägerei). Es sollen früher drei Tafeln dort gewesen sein, von denen aber nur noch eine vorhanden ist. Sie zeigt den Hl. Erzengel Michael, wie der den Drachen tötet. – Danach schwammen die Schlangen die Scherzach hinab und verschwanden.“
Der Bildstock gegenüber des „Schlangenhofs“
Direket gegenüber des vermeintlichen Schlangenhofes befindet sich ein Bildstock in der Hauptstraße 12 in Schlier. Heute ist hier eine Darstellung des Hl. Antonius von Padua integriert. Früher war dort jedoch eine Bildtafel des Erzengel Michael eingesetzt, der einen Drachen bekämpft. Vermutlich gibt es hier über die visuelle Darstellung eine gedankliche Verbindung vom Drachen zu den Schlangen. Des weiteren befindet sich noch eine weitere Wechseltafel im Magazin des Rathauses: eine Marien-Darstellung.