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Die Hofstelle „Walser“ oder der „Hittenbauer“
Text: Robert Krämer
Bis 1985 prägte die Hofstelle Walser das Ortszentrum neben der Kirche. Nachdem am 11. September 1985 die Stallgebäude abgerissen wurden, musste am 26. April 1986 auch das Wohnhaus weichen, um Platz für die neue Ortsmitte zu schaffen. Damit endete die vielhundertjährige Geschichte dieses Hofes und seiner Bewohner an dieser Stelle.
Anhand einiger Bauern, die diesen Hof in unterschiedlichen Jahrhunderten bewirtschafteten, soll ein kurzer Einblick in deren Lebenswelten und damit dem Wandel unserer Gesellschaft von der ständischen Feudalgesellschaft des Mittelalters zur freien Bürgergesellschaft der heutigen Zeit gegeben werden.
Kaum noch bekannt sein dürfte der alte Hausname „Hittens“ oder „Hittenbauer“. Dieser Hausname lässt sich bis in das Jahr 1531 zurückverfolgen und hat sich somit über 450 Jahre erhalten.
Im Jahre 1531, sieben Jahre nach dem Bauernkrieg, wurde vom Kloster Weingarten ein Urbarium (Grundbuch) über die Besitzungen im „Amt hennet der Schussen“, oder auch „allgäuisches Amt“, geschrieben und darin jedes Gut genau aufgeführt. Besitzer, Gebäude, die Grundstücke in den Öschen und auch deren Größe wurden genau beschrieben. Über elf Schlierer Klostergüter liegt eine genaue Beschreibung vor. Die Einleitung zur Beschreibung des Hofes Walser lautet dabei wörtlich: „Das Guet das Bernhard Edel, und jetzt Melcheor Hitt sein Dochtermann innhat und baut, hat Haus, Hoff, Spaicher, 0fenküchen, ain Bomgarten und ain Häuschen darin man Heu legt, und ain Soldhäuschen das verleiht er“. Also eine recht stattliche Hofanlage. (1)
Vor 1531 war auf dem Hof also eine Familie Edel, ab dieser Zeit bewirtschaftet den Hof ein Bauer Namens Hitt. Er heiratete die Tochter von Edel, daher die Bezeichnung Dochtermann. Wann der Hof zum Besitz des Klosters Weingarten kam, ist aus den Urbarien nicht genau zu erklären. Möglich ist aber, dass der Hof im Jahre 1351, als der Truchseß Eberhard von Waldburg die Vogtei über seine Güter in „Slier“ um 180 Pfund Constanzer Pfennig an das Kloster Weingarten verkaufte, vom Kloster erworben wurde. (2)
Im Lagerbuch des Klosters Weingarten von 1458 werden die Zinsabgaben von ebenfalls elf Schlierer Höfen aufgeführt. Der Hof muss also zu dieser Zeit sicher im Besitz des Klosters gewesen sein. (3)
Interessant sind die Zinsabgaben von 1531 zu lesen. Der Bauer hatte jährlich folgenden Zins zu geben:
Die Öschbeschreibung mit einer Menge alter Flurnamen hier aufzuführen, würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Zu erwähnen ist aber die Hofgröße, welche bei 57,7 Jauchert Feld in drei Öschen, 21,5 Mad Wies und 3,5 Jauchert Holz lag; umgerechnet sind dies 39,74 ha Hofgröße. Aufgeführt wird weiter ein „Weyerlein hinderm Haus“, jedoch ohne Größenbezeichnung. Die Lage des Weihers lässt sich heute noch unschwer erkennen.
Im Jahre 1556 wird wieder ein Bauer Hitt genannt, diesmal Michael, wohl ein Sohn von Melchior Hitt. Mit ihm verliert sich der Name Hitt in den Büchern des Klosters Weingarten. Im Volksmund erhalten bleibt jedoch der Hausname „Hittenbauer“. (4)
Nach der großen Pest im Dreißigjährigen Krieg ist Schlier fast ausgestorben. 1637 werden nur noch 5 Schlierer Familien genannt: Stotz, Habnitt, Heiß und zweimal Stemmer, welche jedoch großteils außerhalb des Ortes wohnten. (5)
Im Jahre 1660, 12 Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, wird ein neues Urbarium über Schlier geschrieben. Alle Höfe werden nun wieder bewirtschaftet; auf dem Hof wird nun die Familie Rundel genannt. Nur der Platz des schon 1531 aufgeführten Soldhäuschens beim Hof wird als Öd bezeichnet. Sicher wurde es im Krieg zerstört. (6)
Wurde an diesem Platz die am 3. August 1663 geweihte erste Schlierer Kapelle gebaut? Es wäre möglich, ist aber nicht zu bestätigen. (7)
Der Name Rundel hält sich über 140 Jahre auf dem Hof, also bis um 1800. 1742 bekommt der Hof einen Heiligennamen vom Kloster, wie alle Klosterhöfe. Er wird nun „Hof Sct. Salomon“ genannt; Besitzer ist Joseph Rundel. (8)
1803 wird das Kloster säkularisiert, verliert also seine Besitzungen. 1806 bekommt das Königshaus Württemberg die Oberhoheit über unsere Gegend. Die Bauernbefreiung wird eingeleitet, die Lehensbauern werden nun also rechtmäßige Besitzer ihrer Höfe.
Um diese Zeit heiratet Vincenc Rist eine Tochter von Josef Rundel. 1826, nach dem Tod seiner Ehefrau bekommt er den Hof überschrieben. Er heiratet wieder, Maria Anna geb. Neher. (9)
Rist muss eine starke und einflussreiche Persönlichkeit gewesen sein. Er kämpfte mit anderen Schlierer Bauern für die Anerkennung des Ortes Schlier als Mittelpunkt der 1812 gegründeten Gemeinde. So beendete er 1831 den jahrelangen Streit zwischen Schlier und Wetzisreute um den Neubau einer Pfarrkirche. Da er das Baugrundstück unentgeltlich zur Verfügung stellte, wurde die Kirche schließlich in Schlier gebaut. (10)
Nach seinem Tod machte seine Ehefrau 1865 ebenfalls eine Stiftung über 1500 Gulden, zur Anschaffung eines Hochaltars für die Kirche. Er wurde von Bildhauer Schnell in Ravensburg geschaffen und noch im Herbst 1865 aufgestellt. (Hier geht es zur GPS-Themenseite Ehemalige Altäre von Theodor Schnell in der Schlierer Kirche).
1860 wurde der Hof an den Sohn Anton Rist übergeben, 1877 dann an Franz Neher, wohl ein Verwandter der Witwe Rist, geb. Neher. (11)
Im Jahre 1884 schließlich kaufte Anton Walser aus Witschwende bei Bergatreute und seine Frau Victoria geb. Weber den Hof. (12) Anton Walser erwarb sich bald hohes Ansehen in der Gemeinde. Er wurde langjähriger Gemeinderat, Kirchenstiftungsrat und 25 Jahre Feuerwehrkommandant. Er starb 1930 im Alter von 70 Jahren. (13)
Sein Sohn Albert Walser bewirtschaftete den Hof weiter. Er baute auch 1921 das 1985 abgebrochene Stall- und Scheuergebäude. Am 27. Mai 1953 wurde das Wohnhaus durch Feuer teilweise zerstört. (14, 15)
Mit der Aussiedlung der Hofstelle Walser endete die Geschichte des Hofes im Ort Schlier endgültig. Dafür wurde für kommende Generationen Wohnraum in der Ortsmitte geschaffen. In Vergessenheit geraten dürfte der alte Hausname „Hittenbauer“.
Zeitungsbericht
Am 10. Oktober 1985 erschien in der Schwäbischen Zeitung ein Artikel über den Abriss der Hofstelle und die Entwicklung der Ortsmitte. Zum Lesen bitte hier klicken. (PDF-Dokument, 20,1 MB)